Vor sechs Wochen sind russische Streitkräfte illegal in die Ukraine einmarschiert. Der andauernde russische Angriffskrieg und das damit verbundene humanitäre Leid in der Ukraine erschüttern und entsetzen uns alle. Die Bilder aus Butscha, die uns am Wochenende erreichten, sind nicht zu ertragen. Unschuldige Frauen, Kinder und Männer werden täglich ermordet. Diese Kriegsverbrechen müssen bestraft, die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Wir müssen alles unternehmen, um diesen sinnlosen, fürchterlichen Krieg so schnell wie möglich zu beenden.
Das Entsetzen über das enorme Leid der Zivilbevölkerung und die sinnlose Zerstörung bei unserem unmittelbaren Nachbarn war bei unseren dieswöchigen Beratungen im Europäischen Parlament allgegenwärtig. Und doch kann man sagen, dass es zumindest eine hoffnungsvolle Nachricht in diesen düsteren Tagen gibt: Die Reaktion der EU auf die Aggression Russlands hat gezeigt, dass wir im Ernstfall in der Lage sind, schnell und geschlossen zu handeln.
Die bisherigen Sanktionsmaßnahmen treffen Russland hart und sprechen eine unmissverständliche Sprache. Doch wir müssen die Schlinge um Putin noch enger ziehen, den Druck auf Putin noch mehr erhöhen. Wir müssen den Ukrainern weiterhin Waffen und Ausrüstung liefern. Wir brauchen sofort einen Importstopp von russischer Kohle. Hier arbeitet die EU-Kommission bereits an der Umsetzung. Gleichzeitig brauchen wir auch einen Importstopp von russischem Öl. Denn russische Exporte von Kohle und Öl sind beide gut substituierbar. Und wir können mit diesen Embargos der russischen Regierung weiter zusetzen. Russische Banken, die im Öl- und Kohlehandel tätig sind, müssen ebenfalls vom SWIFT-System abgekoppelt werden. Sobald wir ein Gasembargo verkraften können, sollten wir dieses ebenfalls veranlassen. Wir müssen alles tun, was Putin mehr schadet als uns.
Doch mit Sanktionen darf unsere Hilfe nicht enden. Wir müssen auch denen Schutz bieten, die vor den Bomben Russlands fliehen. Die EU-Mitgliedstaaten haben bereits einen Mechanismus aktiviert, der es ermöglicht, dass aus der Ukraine Flüchtende schnell und unbürokratisch in den EU-Staaten aufgenommen werden.
Viele Frauen und Kinder aus der Ukraine sind bereits bei uns in Deutschland angekommen. Ich bin beeindruckt von der großen Hilfsbereitschaft und danke allen, die helfen und unterstützen durch Bereitstellung von Hilfsgütern, Spenden, Aufnahme von Flüchtenden in der Familie oder die Teilnahme an Kundgebungen.
Die allermeisten Menschen aus der Ukraine kommen bisher in Polen, der Slowakei, Ungarn und Rumänien bei Verwandten oder Privatpersonen unter. Sollte der Krieg länger dauern, werden weiter Menschen bei uns Zuflucht suchen. Für diesen Fall müssen wir in der EU Absprachen treffen, dass alle Mitgliedstaaten an der Aufnahme der Hilfsbedürftigen beteiligt werden.
Bereits jetzt ist klar, dass dieser Konflikt Europa verändern wird. Erstmals in ihrer Geschichte finanziert die EU beispielsweise den Kauf und die Lieferung von Waffen und militärischer Ausrüstung. Europa wäre ignorant, wenn es keine Schlüsse aus Putins skrupellosem Angriff ziehen würde. Wir müssen die europäische Sicherheitsarchitektur auf neue Beine stellen. Die Erhöhung von Verteidigungsbudgets kann nur ein Teil der Lösung sein. Denn häufig ist es vor allem die grenzüberschreitende Bürokratie und sind es die fehlenden militärischen Schnittstellen, die gemeinsames militärisches Agieren erschweren. Eine Lehre aus diesen schwierigen Zeiten muss sein, die Kooperation und Koordination unserer 27 Armeen weiter zu institutionalisieren, zu vereinfachen und drastisch zu verstärken.
Langfristig müssen wir zudem darüber diskutieren, wie die Ukraine auf den Pfad zu einem EU-Beitritt kommen kann. Denn die Ukraine hat eine europäische Perspektive mehr als verdient. Sie ist Teil der europäischen Familie. Und auch unser Verhältnis zu China muss überdacht werden.