Abgeordnete des Europäischen Parlaments, Ärztinnen und Ärzte, Krankenhäuser und Hersteller von Medizinprodukten schlagen schon seit über einem Jahr Alarm. Wichtige Medizinprodukte gehen aus, werden nicht mehr hergestellt, sind nicht mehr auf dem Markt erhältlich. Beispielsweise sind Ballonkatheter für Kinderherzen kaum noch verfügbar und Kinder mit angeborenem Herzfehler können nicht operiert werden.
Was ist passiert?
Im Jahre 2017 ist die Neufassung der Medizinprodukteverordnung (MDR) im Europäischen Parlament verabschiedet worden. Auslöser war damals der große Skandal in Frankreich und Deutschland, bei dem Brustimplantate mit Industriesilikon befüllt wurden. Mit der Neufassung sollten solche Fälle vermieden und die Patientenversorgung verbessert werden. Leider zeigte sich nun in der praktischen Anwendung der Verordnung, dass durch die Vorgaben der MDR weniger Medizinprodukte in Europa verfügbar sind. Patientinnen und Patienten sind in Gefahr.
Nach der MDR müssen auch Produkte, die seit langem mit hoher Zufriedenheit in Kliniken und Praxen im Einsatz sind, neu zertifiziert werden. Diese Re-Zertifizierungspflicht nach der MDR führt dazu, dass Unternehmen Produkte, wie z.B. Herzklappen, Endoskope und Katheter, vom Markt nehmen, weil sich der bürokratische und finanzielle Aufwand der Zertifizierung nicht mehr lohnt. Dies trifft insbesondere auch auf Nischenprodukte zu, die oft in deutlich kleinerer Stückzahl hergestellt werden, weil sie z.B. nur für Behandlungen von Kindern zum Einsatz kommen. Deshalb habe ich die Kommission bereits mehrfach gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen im Europäischen Parlament dazu aufgefordert, eine Änderung der MDR vorzuschlagen.
„Erste Erfolge wurden erzielt.“
Unser monatelanger Druck im Europäischen Parlament auf die Kommission, das Problem der sinkenden Verfügbarkeit von Medizinprodukten anzugehen, ist endlich erfolgreich. Nach Monaten des intensiven Drängens hat die Kommission 2023 einen ersten Vorschlag für die Änderung der MDR vorlegt, der nicht nur eine Fristverlängerung für die Re-Zertifizierung von Medizinprodukten vorsieht, sondern auch eine längere Gültigkeit bereits vergebener Zertifikate. Im Europäischen Parlament haben wir den Vorschlag der Kommission in Rekordzeit durchzuberaten, damit die leeren Schränke in den Krankenhäusern zügig wieder befüllt werden können.
Nach weiterem Intervenieren hat die Kommission in diesem Jahr einen weiteren Änderungsvorschlag vorgelegt, mit dem verlängerte Übergangsfristen für die Rezertifizierung von In-vitro-Diagnostika, eine schnellere Einführung der Europäischen Datenbank für Medizinprodukte (EUDAMED) und ein neues Alarmsystem bei Medizinprodukteknappheit kommen sollen. Auch dieser Vorschlag wurde im Europäischen Parlament zügig durchberaten und die Änderung konnte im April verabschiedet werden. Trotzdem bleibt noch viel zu tun.
„Wir sind noch nicht am Ziel.“
Die Vorschläge der Kommission gehen zwei grundlegende Probleme der MDR nicht an! Erstens führt der hoch bürokratische Zertifizierungsprozess dazu, dass unser Innovationsstandort zunehmend unattraktiv für Medizinproduktehersteller wird. Es kann doch nicht sein, dass wir in der EU an einem bürokratischen Zertifizierungssystem festhalten, das dazu führt, dass die Hersteller ihre Medizinprodukte bei der FDA in U.S.A. anmelden, während uns in der EU Medizinprodukte fehlen. Zweitens lohnt es sich kaum noch, Nischenprodukte zu entwickeln und zu produzieren, die oft in deutlich kleinerer Stückzahl angeboten werden. Deshalb fordere ich, dass die Kommission die Review der MDR gemeinsam mit einem legislativen Änderungsvorschlag bereits im Jahr 2024 vorlegt. Wir müssen jeden einzelnen Artikel der MDR auf den Prüfstand stellen.